Beamte

29. Jänner 2020

Gott, was für ein beschissener Tag! Heute erfahren, dass ich den gesamten Februar Abendschichten schieben muss. Die eine Woche Urlaub kann ich mir somit in die Haare schieben. Als ich Sebastian von meinen Plänen, mit Belinda in eine Therme zu fahren, erzählte, sah er mich eine Minute lang an, als wäre er hirntot. Was für eine Arschgeburt!

Gestern in den Nachrichten gesehen, dass in China irgendeine neue Schweinegrippe oder so ausgebrochen ist. Auf den Aufnahmen waren Menschen zu sehen, die sich vor einem Krankenhaus angestellt haben und haufenweise umfallen und liegen bleiben. Immer ist irgendein Scheiß bei diesen Chinesen. Gibt aber eh genug davon. Fuck it.

Mutter wird nächste Woche operiert. Wenigstens kann ich sie vormittags ins Spital fahren, nachdem ich abends arbeiten muss. Mist, elendiger.

1. März 2020

Ich kann nicht glauben, dass das wirklich passiert, aber im Radio wurde soeben verkündet, dass Österreich in drei Tagen für ganze drei Wochen zugesperrt wird. Drei Wochen! Keine Geschäfte, Ausgangssperre, niemand geht zur Arbeit, niemand geht raus. Die fucking Zombie Apokalypse! Alle fangen an wie verrückte Konserven und Klopapier einzukaufen. Klopapier! Meine Fresse, die menschliche Rasse ist tatsächlich dem Untergang geweiht!

Sebastian meinte gestern Abend, dass diese Angelegenheit in ein paar Wochen ausgestanden sein wird. Dass es sich nur um eine Sicherheitsmaßnahme handelt. Mir ist das im Grunde scheißegal. Wir reden hier von drei Wochen Urlaub!

Belinda ist einigermaßen schlecht drauf, sie hält es zuhause kaum aus. Wir streiten uns oft, weil ich versuche ihr klarzumachen, dass sie es darauf anlegt Stunk mit der Polizei zu bekommen. Und die Herren und Damen der Exekutive scheinen angewiesen, hart durchzugreifen. Milan meinte gestern, dass drei Polizisten seinen Cousin halbtot geprügelt hätten, als sich dieser weigerte, zurück nach Hause zu gehen. Klingt nach interessanten drei Wochen. Ich bin gespannt.

24. Juni 2020

Mein Geburtstag. Yaaay. Wir sind immer noch eingesperrt. Belinda ist in einem schlechten Zustand. Ich kann kaum im Nebenzimmer husten, ohne einen mittelschweren, hysterischen Anfall bei ihr zu verursachen. Letztens ist sie in der Küche mit dem Kartoffelschäler auf mich losgegangen, als ich meinte, ihr Schäl Stil wäre lustig. Gottseidank habe ich mich zu dieser bescheuerten Bemerkung nicht hinreissen lassen, während sie Fleisch geschnitten hat. Man hält es nicht für möglich, aber Haut mit einem Schäler abgeraspelt zu bekommen, ist einigermaßen unangenehm.

Während ich diese Zeilen hier schreibe, liegt sie in einem todesähnlichen Zustand in unserem Bett und flüstert gelegentlich unverständliches Zeug vor sich hin. Langsam mache ich mir Sorgen.

Im Radio wurde verkündet, dass wir die nächsten Wochen nicht damit rechnen können, wieder nach draußen zu gehen. Die Regierung hat Hilfsprogramme beschlossen die dafür sorgen, Haushalte mit wichtigen Nahrungsmitteln und Wasserflaschen zu versorgen.

Ich hoffe echt, dass diese Sache bald ausgestanden ist. Was würde ich dafür geben, jetzt Abendschichten machen zu dürfen.

15. August 2020

Es ist passiert. Hätte mir das jemand vor einigen Monaten prophezeit, hätte ich ihn ausgelacht und zur Strafe geohrfeigt. Wir hatten heute kurzfristig ein Signal auf der TV-Box, woraufhin wir sofort den Fernseher eingeschaltet haben. Auf dem Notsender der Stadt Wien wurden Live-Aufnahmen aus dem AKH gezeigt, auf denen Menschen aufeinander losgingen. Ich dachte zuerst an eine Auseinandersetzung, möglicherweise hatte es Probleme bei der Terminvergabe gegeben. Niemand kommt mehr einfach so in ein Spital. Mindestens drei Checkpoints müssen passiert werden, ehe man es in den Warteraum einer Ambulanz schafft. Körper fielen übereinander, es sah nach einer Massenschlägerei aus. Die Kamera fing schließlich etwas ein, das sich etwas abseits abspielte. Eine Frau in einem geblümten Kleid beugte sich über eine scheinbar bewusstlose Person und hielt ihr Ohr an deren Mund. Die Kamera fing diese Situation ein und zoomte heran, als die Frau plötzlich ihre Zähne fletschte, sie im Hals der ohnmächtigen Person vergrub und ruckartig Haut, Fleisch und Sehnen herausriss. Ich hätte schwören können, mir das nur eingebildet zu haben, aber mittlerweile haben es die Medien bestätigt und diese Bilder sind um die Welt gegangen. Es sieht so aus, als wäre dieses elendige Virus mutiert und imstande, eine Art Kannibalismus bei den Menschen zu verursachen.

Ich lag vor einem halben Jahr mit Zombie Apokalypse wohl gar nicht mal so verkehrt.

3. Dezember 2020

Belinda ist tot. Während ich darüber nachdenke, inwieweit mich diese Tatsache emotional berührt, merke ich, dass mir pragmatische Entscheidungen wichtiger erscheinen. Das Wasser wird knapp und ich habe nur mehr einige Konserven mit Bohnen über. Es wird Zeit für einen Supply Run.

Die letzten drei Monate waren die Hölle. Während die Regierung komplett die Zügel aus der Hand gegeben hat, hat sich die Zahl der Infizierten exponentiell erhöht, bis zu einem Punkt, an dem jede Gegenmaßnahme vollkommen sinnlos erschien. Es gibt noch gelegentlich fließendes Wasser, einige mutige Seelen haben es scheinbar irgendwie bewerkstelligt, ein wichtiges Aufbereitungswerk am Schneeberg zu besetzen und Wien gelegentlich mit frischem Wasser zu versorgen. Unbewaffnet das Haus zu verlassen kommt einem Selbstmordkommando gleich. Ich habe letztens durch das Wohnzimmerfenster beobachtet, wie diese beschissene Fernsehfamilie, die gegenüber wohnt, von einer Horde “Beamter” in Stücke gerissen wurde. Das ist der Name, den diese Dinger verpasst bekommen haben. Ziemlich passend, wie ich finde. Hirntot und langsam.

Es ist tatsächlich passiert. Wir werden von Zombies überrannt.

18. Jänner 2021

Ein Jahr überlebt. Mir kommt es vor wie hundert. Ich sehe keinen wirklichen Ausweg aus meiner Lage. In unserem Bau scheine ich der letzte zu sein, der noch lebt. Der Strom ist vor zwei Tagen ausgegangen, das Wasser ist weg. Ich konnte letztens das Mineralwasser Depot der Nachbarn sicherstellen und alles zu mir herüber schaffen. Keine Ahnung, was mit ihnen passiert ist. Die Nacht davor hörte ich sie noch laut miteinander diskutieren und am Morgen danach herrschte Totenstille. Letzten Endes ist es mir eigentlich scheißegal, was aus ihnen geworden ist. Ihr Wasser ist jetzt meins.

Meine Essensvorräte sind mehr oder weniger ausgegangen. Belindas letzte Überreste, die ich fein säuberlich portioniert und in der Tiefkühltruhe aufbewahrt hatte, waren mein letzter Anker. Jetzt, wo der Strom aus und das Eis geschmolzen ist, beginnt sich ein süßlich fauliger Geruch in der Wohnung auszubreiten. Zusätzlich habe ich das Problem, dass ich ihr Fleisch ohne Strom nicht mehr zubereiten kann. Der Gedanke, es roh zu essen, stößt mich noch ab, ich fürchte jedoch, dass ich in einigen Tagen ganz anders darüber denken werde.

Das Haus zu verlassen, ist zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Beamte, wohin das Auge reicht. Ich habe mich aber eigentlich mit der Tatsache abgefunden, dass es mit mir bald zu Ende gehen wird. Ich bin unterernährt und dehydriert. Ein wenig Wasser sickert noch aus der Leitung in der Toilette. Ich hätte nie gedacht, dass es mir einmal so wenig ausmachen würde, aus der Kloschüssel zu trinken. Aber es ist eigentlich schon alles egal.

Ich bin am Ende.

25. Jänner 2021

Mann, wie sich alles innerhalb weniger Tage ändern kann! Zwei Tage nach meinem letzten Eintrag gab es ein schweres Erdbeben in Österreich. Der alte Weltempfänger, den ich mir vor 20 Jahren gekauft und den ich auf den Notsender eingestellt hatte, verriet mir, dass das Epizentrum in Neunkirchen lag und die Stärke 6,7 betrug. Eine in Österreich noch nie dagewesene Naturkatastrophe. Ich bemerkte das Beben, als sich diverse Gegenstände im Wohnzimmer selbstständig machten und von den Regalen krachten. Mehr erstaunt als ängstlich stellte ich mich in die Zimmermitte und wartete das Ende des Bebens ab. Der Gedanke, dass das Gebäude in sich zusammenstürzen und mich begraben würde, schien weit weniger furchtbar, als ich gedacht hätte. Schließlich war es vorbei. Draußen war jedoch der Teufel los. Sirenen, Autoalarme – alles ging gleichzeitig los und schien die Horden der Untoten gleichermaßen zum Ausrasten zu bringen. Was auch immer dieses Beben zerstörte, es bewirkte kurioserweise, dass die Beamten kurzfristig aufeinander losgingen und sich zerrissen.

Den kleinen Weltempfänger am Ohr, lauschend, verbrachte ich die restliche Nacht in meinen dreckigen Unterhosen am Fenster stehend und in die tote Welt hinaus blickend.

Angeblich ist Hilfe unterwegs. Angeblich haben sich einige Nationen von dieser Scheiße erholt und wollen helfen. Ich wünsche es mir. Gott, ich wünsche es mir so sehr.

12. Februar 2021

Es ist vorbei. Das hier sind meine letzten Worte. Es kommt keine Hilfe. Sie haben es verkackt. Meine Wasservorräte sind komplett aufgebraucht, nichts zu essen mehr. Ich bestehe nur mehr aus Haut und Knochen. Ich habe beschlossen, es gutsein zu lassen. Niemand kann mir vorwerfen, es nicht versucht zu haben. In etwas mehr als einem Jahr ist die Welt untergegangen. Ich hätte immer gedacht, es wäre durch einen Kometen passiert oder einen Atomkrieg. Es hat einfach nur ein kleines Virus gebraucht.

Aber es ist okay. Ich habe in der Speis eine alte, fast leere Flasche Becherovka gefunden. Ich werden mich auf den Balkon setzen und mir einen Drink genehmigen. Immerhin geht die Sonne noch jeden Tag auf und unter und ich sehe sie von meinem Balkon aus.

Ich denke viel an Belinda. Sie war immer ein Teil von mir. Jetzt mehr als jemals zuvor. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich ihre Stimme hören – GIb nicht auf! Gib nicht auf!

Aber es ist sinnlos. Das hier kann keiner mehr kitten.

Wer hätte gedacht, dass Beamte das Ende der Welt bedeuten werden?

Arschlöcher. Depperte.

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