Gurke

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass wir kein Geschirrspülmittel kaufen, das nicht biologisch abbaubar ist?!“

Moment mal.. „wir“?!

Bernadette knallt Klaus die Flasche mit dem dickflüssigen, rosa Inhalt vor die Füße und dreht sich wortlos um. Das bedeutet „Schwing deinen Arsch zurück zum Supermarkt und besorg das richtige Zeug!“. Klaus macht sich gar nicht erst die Mühe ihr zu sagen, dass er die Rechnung weggeschmissen hat. Den Kopf eingezogen und die Fäuste geballt hebt er mit hochrotem Kopf die Flasche Geschirrspülmittel vom Boden auf, dreht sich wortlos um und verlässt die Wohnung, während seine Frau sich am Telefon bei einer Freundin lauthals über ihren nichtsnutzigen Ehemann beschwert.

„Bring Gurken mit!“ Die kreischende Stimme Bernadette’s treibt ihm selbst durch die geschlossene Wohnungstür noch glühende Späne unter die Fingernägel.

Oh, es war nicht immer so. Klaus war einst ein durchaus selbstbewusster Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand, genau wusste, was er wollte und auch nicht zu feige war, es sich zu holen. Bernadette zum Beispiel. Als er sie kennenlernte, war sie Eisverkäuferin am Schwedenplatz gewesen. Unter tausenden von Kunden täglich hatte Klaus es hinbekommen, auf ihrem Radar aufzutauchen und sie letzten Endes zu einem ersten Date zu überreden. Danach ging alles sehr schnell. In eine gemeinsame Wohnung ziehen, ein Kind zeugen, heiraten. Das Übliche eben.

Irgendwann auf dem Weg hatte Bernadette jedoch immer mehr die Zügel an sich gerissen und, noch schlimmer, Klaus hatte es zugelassen. Wenngleich er sich zu Beginn noch gegen ihre seltsamen Anwandlungen gewehrt hatte, war ihm zusehends bewusst geworden, dass er genauso gut gegen eine Wand hätte reden können. Sie gab einfach nicht nach. Niemals. Nicht einen Millimeter. Irgendwann gab Klaus auf und sich seinem Schicksal hin. Andere Männer heirateten wunderbare Menschen. Er hatte den verfickten Antichrist geheiratet.

Beim Supermarkt angekommen überlegt Klaus kurz, ob er mit der Kassierin bezüglich fehlender Rechnung diskutieren soll, entscheidet sich aber sofort dagegen. Soviel Energie kann er unmöglich aufbringen. Er schnappt sich die Flasche Spülmittel vom Beifahrersitz, steigt aus und knallt sie knurrend in den nächstbesten Mistkübel.

Als er sich dem Eingang des Supermarktes nähert, gleiten die Schiebetüren lautlos zur Seite und eine wunderbare kühle Brise empfängt ihn wie einen alten Freund. Er bleibt kurz stehen, schließt seine Augen und genießt das schöne Gefühl so lange auf seinem Gesicht, bis ihn eine alte Frau mit einem voll beladenen Einkaufswagen schimpfend vom Eingang vertreibt.

Mit schlurfendem Schritt geht Klaus in die Drogerieabteilung und fingert eine Flasche biologisch abbaubares Geschirrspülmittel mit dem saublöden Namen „Quak“ vom Regal. So als würden Frösche selbstverständlich und sowieso für biologisch abbaubare Putzmittel stehen. Kopfschüttelnd schleicht er in die Gemüseabteilung, nachdem ihm einfällt, dass er Gurken besorgen soll.

Nur… wieviele?

Eine Gurke? Zwei? Zehn? Klaus hat nicht die geringste Ahnung, was Bernadette damit vorhat. Zum so essen? Tsatsiki? Gurkensalat? Seine Gedanken beginnen zu rasen. Er weiß so sicher wie das Amen im Gebet, dass er die falsche Menge Gurken mitbringen und der Spaß dann erst so richtig losgehen wird. Innerhalb kürzester Zeit steht der Schweiß fingerdick auf seiner Stirn. Klaus geht alle Optionen im Kopf durch, kann sich aber nicht entscheiden. Er nimmt fünf Gurken, legt dann wieder zwei weg, nur um kurz darauf zehn Gurken auf seine Arme zu laden. Schließlich lässt er alle, bis auf eine einzige, fallen und seufzt resigniert. Während er tatsächlich mit dem Gedanken spielt, seine Frau anzurufen, bemerkt er einige Meter neben sich eine Person, die sich beim Kopfsalat zu schaffen macht. Es ist eine Frau, in etwa so alt wie Bernadette. Sie hat die gleiche Haarfarbe, selbst ihre Figur ähnelt ihr sehr. Sie nimmt wahllos einen Kopfsalat aus der Schütte und hält ihn hoch, gegen das Licht, um ihn einem prüfenden Blick zu unterziehen. Danach legt sie ihn retour und schnappt sich den nächsten, wieder die gleiche Prozedur. Als sie dabei kurz zur Seite sieht, fällt Klaus auf, dass selbst ihr Gesicht Bernadette erschreckend ähnlich sieht. Wortlos schleicht er sich an, um herauszufinden was der Unfug soll.

Sie nimmt einen Salat. Sie hält ihn gegen das Licht. Sie reckt dabei das Kinn nach oben Sie kneift die Augen zusammen. Sie legt den Salat zurück.

Klaus beobachtet sie eine Weile und plötzlich überkommt ihn eine mörderische Wut. Er erkennt in der Frau ein absolut perfektes Abbild seiner eigenen Ehefrau und ihrer pedantischen Art. Alles, was sich seit Jahren in ihm aufgestaut hat, brodelt langsam aber sicher nach oben. Die ganzen Demütigungen, Schläge, das Geschrei, all die unzähligen Diskussionen. Klaus beginnt zu zittern. Er nähert sich der Frau so weit, dass er sie berühren könnte. Seine rechte Hand hält immer noch die Gurke und er packt sie, so fest er kann. Als die Frau den nächsten Salatkopf hochhalten möchte, dreht sie sich, einem inneren Impuls nachgebend, um und schreit erschrocken auf, als sie Klaus’ vor sich stehen sieht.

Klaus hat das Gefühl, einen Film zu betrachten, als sich sein Arm mit der Gurke in der Hand hebt. Er holt weit aus und ehe die Salatschänderin ein weiteres Mal aufschreien kann, hat Klaus ihr die Salatgurke mit solcher Wucht ins Gesicht gedroschen, dass sie in tausend Stücke zerplatzt und beide mit hellgrünem Gurkensaft vollspritzt. Die Frau stolpert rückwärts und landet grunzend in einer Schütte Zuckermelonen, die krachend zusammenfällt. Klaus sieht gerade noch, wie ihr knallrotes Blut aus der grünlich verschmierten Nase schießt, ehe er auf dem Absatz kehrtmacht und aus dem Supermarkt rennt, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Auf dem Parkplatz läuft er an seinem Auto vorbei, immer die Straße entlang. Er läuft und läuft und läuft und bemerkt plötzlich die Reste der Gurke in seiner rechten Hand. Grinsend beißt er davon ab und läuft weiter.

Und dann beginnt er zu lachen.

Und lacht. Und lacht. Und lacht.

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