Fenster

„Vergiss nicht, die Hintertür zuzusperren!“

Matt verdreht die Augen, während sein Chef sich laut rülpsend durch den Vordereingang aus dem Staub macht. Es ist Freitagabend und der Laden war mal wieder gerammelt voll. Wie üblich bleiben die Aufräumarbeiten an Matt hängen. Er muss das Geschirr wegwaschen, die Arbeitsflächen säubern, die Nudelmaschine entkalken, im gesamten Lokal den Boden kehren und danach feucht wischen. Seufzend schnappt Matt sich die erste Schüssel, spült sie aus und stellt sie in die Geschirrspülmaschine.

Kurz vor 23 Uhr ist Matt bereits auf dem Heimweg. Seine Hände pochen unangenehm. Eine vierzehnstündige Doppelschicht geht eben nicht spurlos an seinem 40jährigen Körper vorbei. Leise vor sich hin summend und die Hände, welche ebenfalls leicht geschwollen sind, langsam zu Fäusten ballend, spaziert er durch die feuchte Nacht heimwärts. Die U-bahn fährt zwar noch, aber die kalte Luft fühlt sich großartig an, warum also nicht zu Fuß heimgehen?

Matt spaziert am Kanal entlang, begegnet ein paar Hundebesitzern, die ihre Vierbeiner stumm zum Kacken ausführen und steigt bei der Friedensbrücke die Stufen hoch. Ein paar Straßen weiter beginnt eine Ansammlung von Einfamilienhäusern, alle gleich aussehend, alle gleich hässlich. Die Straße mündet in eine kleine Allee, in der Matt seine kleine Eigentumswohnung hat – alles, was ihm von seinen Eltern geblieben ist. Er atmet kleine Dampfwölkchen aus und beschleunigt seinen Schritt, um sich endlich sein Feierabendbier gönnen zu können.

Auf mittlerer Höhe der Straße, kurz vor der Allee, bewegt sich etwas in Matt’s Sichtfeld und veranlasst ihn, stehenzubleiben. Stirnrunzelnd sieht er sich um und erkennt plötzlich ein offenes Fenster in einem der Häuser. Das Licht ist im Zimmer an und am Fenster steht eine nackte Frau mit ziemlich großen Brüsten. Sie zieht die Vorhänge zu, lässt dabei jedoch einen kleinen Spalt übrig. Matt schüttelt den Kopf und geht weiter, nur um gleich darauf stehenzubleiben und erneut zum Fenster hinzusehen. Was war das? Eine Einladung? Hat sie ihn gesehen? Soll er zum Fenster kommen und zusehen? Was, wenn er falsch liegt? Nein, Matt war viel, aber kein Spanner. Er kann sich dennoch nicht aufraffen, weiterzugehen. Schließlich dreht er sich um und geht zum Fenster. Die weißen Vorhänge bewegen sich leicht im Abendwind und als sie sich teilen, sieht Matt, wie die Frau mit den Riesenbrüsten auf dem Bett liegt und an sich herumspielt, als gäbe es kein Morgen. Ehe er noch so richtig kapiert, was da eigentlich passiert, holt er sein bestes Stück heraus und beginnt das Ding zu bearbeiten, als würde sein Leben davon abhängen. Das ganze dauert gerade mal eine knappe Minute. Mit zitternden Händen packt Matt sein Ding weg, sieht ein letztes mal mit schlechtem Gewissen durch den Vorhangspalt, ehe er kehrt macht und zusieht, dass er wegkommt.

Zuhause angekommen braucht Matt drei Flaschen Bier, um wieder normal denken zu können. Er hat keine Ahnung, was zum Teufel das gerade war und warum er das getan hat. Es hätte ihn jemand sehen können! Er putzt sich die Zähne, wirft sich im Badezimmerspiegel einen letzten kopfschüttelnden Blick zu und geht schließlich zu Bett.

„Hintertür nicht vergessen!“

Matt’s Boss furzt laut und verlässt das Lokal. Es ist das Ende eines verdammt erfolgreichen Samstagabends. Die Gäste haben das kleine Restaurant gestürmt und so gut wie alles aufgefuttert, was verfügbar war. Matt fühlt sich, als hätte ihn ein LKW überfahren, spuckt sich aber trotzdem in die Hände und erledigt die Endarbeiten so schnell wie noch nie.

Er musste den ganzen Tag an diese Frau in dem Zimmer denken. Wenngleich ihn sein schlechtes Gewissen noch immer quält, war diese ganze Aktion doch aufregender als alles, was ihm in den letzten Jahren passiert war. Den ersten Gedanken, heute Abend wieder vorbeizuschauen, tat er sofort ab. Also bitte, mit Sicherheit nicht! Er war doch kein Perverser, der anderen Leuten ins Fenster glotzte und sich dabei einen runterholte. Andere vielleicht, nicht er. Je mehr Zeit jedoch verstrich, desto unsicherer wurde er in seinem Standpunkt, dass man so etwas einfach nicht macht. Zu guter Letzt konnte er nur noch dran denken, den heutigen Dienst so schnell wie möglich zu beenden, damit er zu diesem Haus fahren konnte. Matt sperrt das Lokal ab und verlässt es durch den Hinterausgang, den er auch sorgfältig versperrt. Er sprintet zur U-bahn und fährt in Richtung Friedensbrücke, wo er aussteigt.

Es ist genauso nass und feucht wie am Abend zuvor. Matt zittert, vermutlich hätte er sich heute morgen eine dickere Jacke anziehen sollen, aber er war ein wenig abgelenkt. Sich dafür in Gedanken schimpfend, schleicht er langsam die Gasse mit den Einfamilienhäusern entlang, auf der Suche nach dem Fenster. Wenn er sich richtig erinnert, war es das drittletzte Haus auf der linken Seite. Langsam duckt er sich beim Gehen in den Schatten der Bäume und geht die rechte Straßenseite entlang, bis er schließlich das richtige Haus gefunden hat. Ja, das war zweifelsohne das Fenster. Es ist auch heute offen, trotz der niedrigen Temperaturen, aber kein Licht ist an. Matt lehnt sich an einen Baumstamm und wartet eine Weile. Als sich nichts tut, überquert er die Straße. Vielleicht steht die Frau im Dunklen und beobachtet die Straße. Wenn sie ihn erneut sieht, macht sie vielleicht wieder das Licht an, ehe sie die Vorhänge zuzieht und sich aufs Bett legt. Matt spürt ein Kribbeln in seinen Lenden, als er sich dem Haus nähert. Das hier ist einfach um ein Vielfaches aufregender als jeder Sex, den er jemals gehabt hat. Langsam geht er auf das Haus zu und bleibt dann einfach davor stehen. Als ihm klar wird, wie idiotisch das ist, geht er weiter, kurz davor, das ganze zu vergessen. Ein letzter Impuls bringt ihn dazu, noch einmal zum Fenster hinzusehen. Nur einmal nachsehen. Kurz. Wenn sie nicht da ist, geh ich einfach wieder nach Hause. Matt macht kehrt und schleicht auf Zehenspitzen zum Fenster. Die Vorhänge wehen erneut leicht im Wind und es ist niemand im Zimmer zu sehen. Matt fragt sich, ob er eine Minute warten oder lieber doch gleich gehen soll, als es plötzlich taghell wird und innerhalb von drei Sekunden die Hölle losbricht. Das Scheinwerferlicht ist so grell, dass er halb blind zu Boden fällt, als ihn gefühlte zwanzig Hände packen und zu Boden werfen. Furchtbar böse Stimmen schreien ihn an, aber er versteht kein Wort. Seine Augen tränen und er Erde füllt seinen Mund, als sich fünf Polizeibeamte gleichzeitig auf ihn drücken und seine Hände auf den Rücken biegen, um ihm Handschellen anzulegen. Jemand schreit ihm zu, dass er verhaftet wird, ein anderer kreischt „Wir haben ihn! Wir haben ihn!“. Matt wird unsanft hochgezerrt und blickt in grimmige Gesichter. Eine panische Angst überfällt ihn, was zum Teufel ist hier los? Er versucht diese Frage zu stellen, aber mehr als ein jämmerliches Krächzen ist nicht zu hören und dieses geht unter im Getöse der Exekutivbeamten, die laut johlend ihren Triumph feiern. Er wird zu einem Polizeiauto gezerrt und wie ein Stück Fleisch auf den Hintersitz geschubst. Immer noch zutiefst verwirrt bemerkt Matt schließlich, wie einige Polizeibeamte das Fenster, in dem er die nackte Frau gesehen hatte, von innen schließen. Ja, es besteht kein Zweifel, die Polizei ist IN der Wohnung. Auf das Warum kann sich Matt jedoch keinen Reim machen.

Es dauert noch eine Weile, bis der ganze Trubel ein Ende findet. Nachbarn glotzen sensationsgeil aus ihren Fenstern, einige sind nähergekommen und werfen Matt durch das schmutzige Autofenster finstere Blicke zu.

Matt, der einfach nur ein wenig Schweinkram machen wollte.

Matt, der nach der Aktion gestern Abend einfach heimgegangen ist, ohne zu wissen, was sich danach in dieser Wohnung zugetragen hat.

Matt, dessen Sperma an der Hauswand unter dem Fenster klebt.

Matt, der einen grandiosen Täter abgibt.

Es dauert ein wenig, bis Matt sich dieser Dinge bewusst wird. Leise weinend hält er die heiße Stirn gegen das kalte Autofenster. Schließlich steigen zwei Polizisten ein. Matt’s leises Schluchzen ist der letzte Beweis, den sie brauchen. Das wird eine lange Nacht.

Aber sie werden jede Minute davon genießen.

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